– Von Jule Sommersberg –
Pandemie, Selbsttest, Maskenpflicht (FFP2, FFP3?), Alltagsmaske, social distancing, Abstandsgebot, kontaktfreier Urlaub – das Vokabular der CoronaKrise. Vokabeln, die wir unseren Schüler*innen nicht beibringen müssen – das bringen sie von zu Hause mit.
Das und viele Fragen zu den jeweils aktuellen Regelungen: Wer darf wann in die Mensa? Welchen Eingang dürfen wir benutzen? Wie oft am Tag machen wir Maskenpause? Wie sicher sind wir in der Schule? Wann dürfen wir wieder singen?
Zwölf Monate ist es her, seit am 12. März 2020 die erste Schulschließung angeordnet wurde. Wir Lehrkräfte saßen damals zusammen in einer schulinternen Fortbildung, um die Schule von morgen, vielleicht sogar von übermorgen zu planen. Alltagsmasken spielten in unseren Überlegungen noch keine Rolle.
Und den ganzen Tag hatten wir ein Auge auf dem Nachrichtenticker: Kommt der Lockdown? Kommt er nicht? Er kam.
Die Schule von übermorgen musste vorläufig verschoben werden; andere, drängendere Probleme waren zu lösen:
- Wie erreichen wir unsere Schüler*innen, wenn wir sie nicht jeden Morgen um acht in unserer Klasse sehen (per Messenger, Telefon und Email, vielleicht über Videoplattformen, hat da schon jemand Erfahrungen …)?
- Wie stellen wir sicher, dass sie an ihre Materialien kommen (volle Kofferräume und Liefertouren quer durch Oldenburg)?
- Und wie stellen wir sicher, dass unsere SchülerInnen nicht nur Bücher und Arbeitsblätter bekommen, sondern zusätzlich das, was erfolgreiches Lernen ausmacht?
- Beziehungen zu uns, zu den MitschülerInnen?
Dieser Teil war der kniffligste. Mit einiger Mühe fanden wir eine Videoplattform, die wir und unsere Schüler*innen – zum Teil Kinder mit erhöhtem Förderbedarf – bedienen konnten.
Um Hemmschwellen abzubauen, haben wir Elternabende veranstaltet: drei, damit nicht dreißig Eltern gleichzeitig am Bildschirm verzweifeln; und dann noch ein oder zwei Einzelgespräche für Nachzügler*innen, die unsere Einladung nicht rechtzeitig erhalten hatten, oder besonders besorgt waren, was Datenschutz und Schulstress angeht: Kein Kind muss seine Daten preisgeben, niemand muss eine Kamera einschalten, das Programm ist einfach zu bedienen. Mit jedem Kind einzeln sind wir den Einlogg-Prozess durchgegangen, bis alle selbstständig mit der Plattform umgehen konnten.
Nicht wenige von uns haben in den vergangenen 12 Monaten darüber nachgedacht, ob ein Facelifting nicht doch das Richtige wäre; so oft haben wir in unsere manisch strahlenden Gesichter geschaut, wenn wir versucht haben, via Bildschirm den Schüler*innen das zu zeigen, was wir im normalen Schulalltag ganz en passant und mit einer freundlichen Geste vermitteln können: Du kannst das, ich glaub an dich, zusammen schaffen wir das.
Lockdown ist für Schulen und alle Beteiligten eine gruselige Erfahrung. Aber neben all dem Stress, dem technischen Hin und Her, den wöchentlichen Briefen des Ministers („Wertschätzung, gemeinsame Anstrengung“ …) konnten wir unsere Schüler*innen sehen. Und wir konnten ihnen schreiben.
Und wir konnten ihnen ein kleines bisschen Normalität in diesen außerordentlichen Zeiten herstellen (montags um 9:00 Uhr Deutsch) und dabei ausprobieren, was geht. Und wie es geht. Und alte Gewissheiten hinterfragen. Einiges können wir hoffentlich erhalten.
In der Zeit seit Weihnachten habe ich – inzwischen schon ziemlich routiniert und technisch ruckelfrei – eine Unterrichtsreihe zum Leben im mittelalterlichen Oldenburg mit meinen SchülerInnen durchgeführt, inklusive Rollenspiel, BreakoutRaum, gemeinsam erstellten Mindmaps und lebhaften Diskussionen. Daneben aber habe ich ihnen (zwangsläufig) Zeit gegeben, um zu experimentieren.
Sie mussten ein Buch schreiben und binden, Thema: beinahe egal, es musste nur irgendwo im europäischen Mittelalter angesiedelt sein. Herausgekommen ist eine unfassbare Bibliothek an fantastischem Wissen, das die SchülerInnen sich großenteils ohne meine Hilfe angeeignet haben: Von den Wikinger-Ursprüngen Russlands über das fast vergessene Kräuterwissen der Hildegard von Bingen und den Wandteppich der Apokalypse bis zu dem Judenpogromen im Umfeld der Pest.
Eingegriffen habe ich, wenn es hakte. Per MessengerApp, per Nachfragen bei den Eltern, wenn die Technik nicht mitzuspielen schien, per Leihgaben aus meinem Bücherregal und per persönlichem Zuspruch in der Videosprechstunde. Ergebnisse, auf die die Schüler*innen zu Recht saustolz sind und die im Schulalltag, der in „normalen Zeiten“ immer wieder von Klassenarbeiten und Curriculum diktiert ist, kaum möglich wären.
Und wie geht es weiter? Wird getestet? Geimpft? Wer, womit und wann? All die Fragen hängen über unseren Köpfen, wenn wir nach Ostern wieder zur Arbeit gehen, und sie tragen erheblich zu unserem Stress bei. Wenn ich ins Lehrerzimmer komme, sitzen da in der Pause nur noch wenige Lehrkräfte. Wir gehen einander aus dem Weg, wo immer das möglich ist. Eine Schule ist aktuell kein attraktiver Arbeitsplatz.
Lehrkräfte sind keine Bürohengste. Sie leben von Begegnungen und Unterrichten ist nichts, was sich einfach ins Digitale verlagern lässt. Keine LernApp kann, was wir können, kein Schulfilm ersetzt das Gespräch, denn Lernen funktioniert in Beziehungen. Das hat die Pandemie ungleich erschwert und das merkt man uns Lehrkräften an.
Früher habe ich Referendar*innen erzählt, warum der Lehrberuf der fantastischste und befriedigendste Beruf der Welt ist.
Nach einem nicht ganz stressfreien Morgen mit drei damals noch kleinen Kindern und einem ständig sehr aufmerksamkeitsbedürftigen Hund hatte ich den anstrengendsten Teil des Tages hinter mir, wenn ich in der Schule ankam. Zehn kleine Begegnungen auf dem Weg zum Klassenzimmer reichten, um meinen Akku wieder aufzuladen.
Die Arbeit mit den Schüler*innen der unterschiedlichen Jahrgangsstufen von 5 bis 13 ist nicht nur wichtig, sondern geradezu beglückend. Schule ist der Ort, an dem die Zukunft entsteht.
Zwei meiner Schüler*innen der siebten Klasse haben Ambitionen auf das Kanzleramt. Mal sehen, wie wir sie auf die Krisen von morgen und übermorgen vorbereitet haben.